punktwolke baum mnk

 2020 »Punktwolke eines Baums« │ Tusche auf Papier │24 x 34 cm

 

Jahresgabe Förderverein Museum für neue Kunst (MNK) Freiburg

Ob Camera Obscura, die Fotografie oder schließlich das digitale Bild: Die technisch unterstützte Generierung der Abbildung eines realen Vorbildes hat wichtige Bedeutung für unser Sehen, unsere Wahrnehmung und schließlich unser Verständnis von Welt. Raphael Spielmann setzt sich in seinem künstlerischen Schaffen mit fotografischen Technologien, deren Bilderweiten, Möglichkeiten und philosophischer Bedeutung auseinander. Für die diesjährige Jahresgabe des Fördervereins des Museums für Neue Kunst nutzt Raphael Spielmann die Technik der Photogrammetrie. Dieser Technik, die ihren Ursprung bereits im 19. Jahrhundert hat und die die exakte dreidimensionale geometrische Rekonstruktion des mithilfe von Fotografien vermessenen Objekts zum Ziel hat, kommt angesichts digitaler Möglichkeiten im 21. Jh. neue Bedeutung in den Bereichen der 3D-Kartographie sowie des 3D-Drucks zu. Raphael Spielmann hat für die Jahresgabe aus unterschiedlichen Blickwinkeln zahlreiche Fotografien eines Baums geschossen und aus diesen am Computer ein virtuelles 3D-Modell berechnet. Die entstandene ,Punktwolke' – das Zusammenspiel unzähliger kleiner Pünktchen zur dreidimensional erscheinenden Zeichnung – ist eine typische Computeransicht bei der Erzeugung von 3D-Daten. Die so generierte Abbildung, die kaum mehr an eine naturgetreue Abbildung eines Baums erinnert, wurde auf eine Siebdruckschablone ausbelichtet und auf Papier übertragen. Dabei wurde jedoch zunächst keine Farbe genutzt, sondern Maskiermasse, die das Papier vor Farbeinwirkung schützt. Auf das so präparierte Papier wurde mit einem großen Pinsel Tusche aufgetragen. Nach dem Trocknen der Farbe wurde die Maskiermasse schließlich Pünktchen für Pünktchen entfernt. Die Struktur des Baums, die wir auf dem Papier abstrahiert als Motiv zu sehen bekommen, ist daher eine Art Negativ. Raphael Spielmann setzt sich hier mit einer Technik auseinander, die ursprünglich erfunden wurde, um eine exakte, möglichst naturgetreue Umsetzung eines Vorbildes zu entwickeln. Es ist genau dieses Streben nach Naturähnlichkeit, das durch seine Arbeitsweise – diese Rückübersetzung des Digitalisierten ins physisch Greifbare, gleichzeitig jedoch hochgradig Abstrahierte – ad absurdum führt. So nutzt Spielmann die handwerkliche Arbeit, um sich dieses durch mehrere Schichten (Fotografie, 3D-Generierung am Computer, Siebdruck, Tuschemalerei) entfremdete Bild wieder anzueignen und in eine eigene Form zu überführen, im künstlerischen Schaffen von Raphael Spielmann geht es um die Befragung von Wissensstrukturen. Er untersucht visuelle Phänomene, die (kanonischen) Bilder der Kunstgeschichte, die Digitalisierung und wie diese unsere Wahrnehmung und unser visuelles Wissen verändern. Seine Arbeit bietet viele Anknüpfungspunkte, die ein Weiterdenken ermöglichen und auch erfordern. Er schafft dabei Bilder, die theoretische Reflexion und technisches Können zu einer ästhetischen Seherfahrung verbinden.

Lisa Bauer-Zhao